Arbeitsmigration in Delmenhorst
Umfangreiche Studie zu Arbeitswanderern in der Zeit des Kaiserreiches erschienen
05/21 JW
Arbeitsmigration ist nicht nur ein sehr aktuelles Thema. Aus historischer Perspektive nähert sich das aktuell erschienene Buch von Michael Hirschfeld und Franz-Reinhard Ruppert diesem Phänomen. Es nimmt die Arbeitswanderung nach Delmenhorst, der größten Industriestadt des Oldenburger Landes, während des Kaiserreichs (1871-1918) erstmals genauer in den Blick.
Genau vor 150 Jahren begann der rasante Aufschwung der Stadt mit der Gründung einer Jutefabrik. Bald folgten mehrere Linoleumfabriken sowie die Norddeutsche Wollkämmerei, die Tausenden junger Arbeitskräfte aus dem zu Österreich-Ungarn gehörenden Böhmen und Galizien wie auch aus entfernten Regionen des Deutschen Reichs, wie dem Eichsfeld, der Provinz Posen und Oberschlesien, ein Auskommen geboten hat.
Die Autoren beschreiben die Herkunft der Arbeitswanderer, ebenso wie sie Einblicke in deren Lebenswelt in Delmenhorst vermitteln. Ausführlich dokumentieren sie die Wohnverhältnisse von Elendsquartieren, über Werkswohnungen bis hin zum eigenen Haus und stellen das religiöse Leben sowie Freizeitbetätigungen in Musikkapellen und Sportvereinen als Elemente der Beheimatung vor.
Als weitere Aspekte der Integration untersuchen sie die Einbürgerung (Naturalisation) in den oldenburgischen Staatsverband und die Eindeutschung slawischer Nachnamen.
Mit Hilfe von über 200 vielfach bisher unbekannten Fotos und Dokumenten bietet das Buch einen Einblick in eine vergangene Lebenswelt. Ein Personen- und ein Ortsregister erschließen die Vielzahl der in Bild und Text erwähnten Arbeitswanderer.
Zur Ermittlung der Herkunftsangaben haben die Autoren etwa 30.000 Einträge in den Melderegistern der Stadt Delmenhorst durchgesehen. Dutzende Personalkarteikarten der Nordwolle haben sie ebenso recherchiert.
Hilfestellung leisteten das Stadtarchiv Delmenhorst, das Nordwolle Museum und die Oldenburgische Landschaft. Museum und Landschaft haben auch die Herausgeberschaft des Bandes in der wissenschaftlichen Reihe “Oldenburger Studien” (Band 92) übernommen.
„Die beiden Verfasser haben eine beachtliche wissenschaftliche Leistung erbracht. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis macht deutlich, dass das Buch auch bei einer breiten Leserschaft Interesse finden kann und wird“, kommentiert Landschaftspräsident Prof. Dr. Uwe Meiners die Neuerscheinung.
Die aus Delmenhorst stammenden Autoren, beide Nachfahren von Arbeitswanderern aus Böhmen, dem Eichsfeld bzw. Oberschlesien, sehen den Band auch als ihr Geschenk zur in diesem Jahr in Delmenhorst begangenen 650-Jahrfeier der Stadtrechtsverleihung.
Die Autoren:
Michael Hirschfeld, Jg. 1971, Prof. Dr., gebürtiger Delmenhorster, apl. Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Vechta, zahlreiche Veröffentlichungen zur Landes- und Regionalgeschichte.
Franz-Reinhard Ruppert, Jg. 1940, Dr.-Ing., gebürtiger Delmenhorster, nach langjähriger freiberuflicher Tätigkeit als beratender Ingenieur Engagement für regionalgeschichtliche Studien zur Industriehistorie von Delmenhorst.
Michael Hirschfeld – Franz-Reinhard Ruppert, Arbeitswanderer in Delmenhorst in der Epoche des Kaiserreichs 1871-1918. Böhmen – Eichsfeld – Oberschlesier – Galizier in einer nordwestdeutschen Industriestadt, Oldenburger Studien Band 92, Isensee Verlag, Oldenburg 2021, 400 S., zahlr. Abb., Hardcover, ISBN 978-3-7308-1755-1, Preis: 35,– Euro.